In unserer Serie ‚Was machen ehemalige BTHV’er‘ ist jetzt nach Smilla Klas Kyra Angerer (25) dran – mit einer mehr als spannenden und hoch interessanten Lebensgeschichte. Sie war Spielerin und Torjägerin der 1. Hockey-Damen – leider nur vom Juni 21-Januar 22.
Viele BTHV Mitglieder kennen sie von den Kontrollen Corona an der Clubhaustür in den Weihnachtsferien – long time ago
Eine persönliche Anmerkung: auch wenn das Interview jetzt lang geworden ist, so hat das seine Gründe. Aber es lohnt sich die Geschichte von Kyra zu lesen. Dabei wird einem mal wieder bewusst, was für tolle Menschen im BTHV gespielt haben. Sich mit 25 schon so differenziert in verschiedenen Sozialprojekten zu engagieren – einfach toll und bewunderswert.
Wir würden uns daher freuen, wenn sich der eine oder andere mit einem kleinen Spende für das Projekt auf Lesbos einbringt:
https://yogasportwithrefugees.org/donate/
F: Du kommst aus Brandenburg und warst nur kurz in Bonn. Dieser Weg ist ja ein Quantensprung – umgekehrt ja meistens eher der Fall. Was hat Dich nach Bonn verschlagen??
A: Ich habe ein 6-monatiges Praktikum bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Sektorvorhaben Sport für Entwicklung absolviert. Da lag es nah, nach der Arbeit kurz die Schienen zu überqueren und beim BTHV Hockey zu spielen. Insbesondere dank Thea, die mir ab Tag 1 die Stadt Bonn und alles andere gezeigt hat, habe ich mich sofort super wohl gefühlt.
F: Überhaupt scheint Dich das Ausland anzuziehen – erst Nanjing und olympisches Jugendlager, dann Studium an der Loughborough University in England, dann das Rheinland, dann Lesbos und jetzt Riyadh. Ist es das Loslösen aus der Provinz??
A: Ich würde es nicht das Loslösen aus der Provinz nennen. Ich bin immer noch gerne zu Hause, genieße die Natur und den kleinstädtischen Flair daheim. Allerdings bin ich schon mit 14 Jahren nach Berlin gezogen, in erster Linie des Hockey wegen. Seit dem Schulabschluss habe ich regelmäßig für mehrere Monate im Ausland studiert, gearbeitet oder war auch mal einfach klassisch reisen. Es bietet es sich oft an fremden Orten an, schnell Anschluss durchs Hockey zu finden. So hatte ich die Möglichkeit in Bonn wie auch im Ausland in Schottland, Schweiz, England oder jetzt in Saudi-Arabien mich einem Team anzuschließen. Aber ja, es hat mir schon immer große Freude bereitet, in unterschiedliche Kulturen einzutauchen, verschiedene Lebensstile, Sichtweisen kennen zu lernen. Über die Jahre hat sich diese Neugier hin zu einer andauernden Reise- und Abenteuerlust entwickelt.
F: Im März warst Du auf Lesbos. Was genau hast Du da gemacht??
A: Genau, im Februar und März habe ich einige Wochen auf Lesbos verbracht und dort für die NGO Yoga and Sport with Refugees gearbeitet. Die Aktivitäten der NGO selbst finden außerhalb des eigentlichen Flüchtlingslagers Kara Tepe statt, welches nach dem Brand in Moria an der Küste der Insel errichtet worden ist. Das heißt, die Flüchtlinge kommen zu Fuß oder mit dem Fahrrad zum Gym oder den von der NGO gemieteten Fußball- und Volleyballplätzen. Ziel der NGO ist es ganztägig ein kostenfreies und vielseitiges Sportprogramm mit über 24 verschiedenen Sportarten anzubieten und dabei Flüchtlinge proaktiv einzubinden. Nahezu alle Sessions werden von Flüchtlingen angeleitet. Auch im administrativen Team werden kontinuierlich Flüchtlinge eingebunden. Dadurch werden die Flüchtlinge in die Verantwortung gezogen, sie entwickeln “Life Skills”, die ihnen bei der Integration in ein neues Land und eine neue Kultur helfen werden. Vor Ort habe ich mich als Volunteer engagiert, im Gym bei den Anmeldungen geholfen, day-to-day Aktivitäten durchgeführt, wie Sportkleidung waschen, sauber machen und bei Fundraisingaktivitäten helfen. Auch wenn das Camp derzeit aufgrund vieler Push-Backs (pro Woche schafft es wegen der Küstenwache im Schnitt 1 von 10 Booten nach Lesvos) mit ca. 1900 Flüchtlingen verhältnismäßig leer ist und das Leid nicht immer auf den ersten Blick zu sehen ist, haben mich die Erzählungen vieler Flüchtlinge sehr berührt und bewegt. Auch in Lesvos sterben noch zu viele Menschen auf dem Fluchtweg. So wurden beispielsweise an einem Morgen im März 7 Leichen an den Strand gespült, die vermutlich einem Pushback entkommen wollten, 500m von meiner Unterkunft entfernt. Insbesondere jetzt mit Blick auf die Flüchtlingskrise um die Ukraine ist es wichtig sich weiterhin ganzheitlich für eine bessere Flüchtlingspolitik in und außerhalb Europas einzusetzen.
F: Jetzt lebst du in Saudi-Arabien. Was genau machst Du da??
A: Aktuell arbeite ich in Riyadh, der Hauptstadt Saudi-Arabiens, für ein sozial-inklusives Sportprojekt. Die Stadt errichtet einen großen Sportpark mit unterschiedlichsten Outdoor-Anlagen, die frei von der Öffentlichkeit, sprich Sportverbände, Vereine oder Bürger*innen genutzt werden können. Meine Aufgabe hier ist, zum einen sicherzustellen, dass möglichst viele Sportarten und deren Institutionen in das Projekt proaktiv eingebunden werden. Dabei fördern wir insbesondere das Angebot für und die Integration von marginalisierten Gruppen, wie Frauen oder Menschen mit Behinderung. Zum anderen bin ich für die Aus- und Weiterbildung der Trainer*innen innerhalb der Sportanlage und deren kooperierende Schule verantwortlich. Schulsport, beispielsweise, wurde in Mädchenschulen erst 2017 eingeführt. Das heißt, im Bereich des Capacity Buildings herrscht enormer Bedarf, Sportlehrer*innen weiterzubilden und ihnen das Handwerkzeug für die Vermittlung von Sport mitzugeben.
F: Kurzer Rückblick auf Bonn: , Was bleibt hängen??
A: Ganz viel Positives! Ich habe die Zeit in Bonn extrem genossen. In kurzer Zeit viele tolle Freundschaften geschlossen, viel Spaß auf und neben dem Platz gehabt! Ich hoffe bald die Gelegenheit zu haben, mal wieder vorbei zu schauen, um Hallo zu sagen und auf ein Kölsch anzustoßen. In diesem Sinne nochmals vielen lieben Dank an alle vom BTHV, die mich so unterstützt haben!
F: Letzte Frage on top: Wer so vielfältig unterwegs ist – wo soll es am Ende der Findungsphase gehen…???
A: Das ist eine sehr gute Frage. Ich muss zugeben, ich kann die Frage selbst noch nicht ganz beantworten. Wichtig ist mir, Sport als Querschnittsthema zu betrachten. Dabei möchte ich mich in Projekten engagieren, die sich das Ziel gesetzt haben, benachteiligte Gruppen mittels Sport zu erreichen, um deren Möglichkeiten zu verbessern. Die Konzeptionierung als auch die Durchführung von Traineraus- und Weiterbildungen auf dem Platz bereiten mir großen Spaß. Mittelfristig würde ich gerne meine Erfahrungen wissenschaftlich untersuchen, um theoriebasierte Empfehlungen für den Sport in und außerhalb Europas zu entwickeln.
Kyra, ich denke, ich spreche im Namen aller, die das Vergnügen hatten, Dich in Bonn kennenzulernen: viel Glück auf Deinem weiteren Weg whereever und bekanntlich trifft man sich beim Kölsch immer zweimal im Leben. Man kann vor Dir nur den Hut ziehen!!!
KaMi