Mal nicht an den Krieg denken: Ihr Tennis-Talent hat Yana Yaroshenko auch in Deutschland bereits bewiesen. Foto: Benjamin Westhoff
Ein bewegender Artikel am Samstag im GA
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Von Wolfgang Ley
Es ist der Morgen des 8. März 2022, ein Dienstag, als sich das Leben von Yana Yaroshenko komplett ändert. In der Ukraine herrscht seit knapp zwei Wochen der Ausnahmezustand, seit Russland den Angriffskrieg gegen das Land begonnen hat. Auch in der Hauptstadt Kiew, ihrer Geburtsstadt. „An diesem Morgen habe ich von meiner Mutter erfahren, dass wir fliehen müssen“, erzählt die 14-Jährige. Und sie erfährt auch, dass der Weg nach Deutschland führt, genauer gesagt nach Troisdorf, zu Freunden ihres Vaters.
Mit ihrer Mutter, ihrem Bruder und Freunden macht sie sich in zwei Autos auf den beschwerlichen Weg. „Wir haben nur ein paar warme Sachen mitgenommen, es war ja schließlich Winter. Für mehr war in den Fahrzeugen kein Platz“, berichtet Yana. Auch nicht für ihr Tennis-Racket. Ihr geliebtes Racket. Denn dieser Sport ist ihre große Leidenschaft. In Kiew hat sie die Tennis-Akademie besucht, praktisch jeden Tag trainiert, die Übungsstunden sind in den Schulalltag quasi integriert.
Den Vater muss die Familie zurücklassen – im Krieg, an der Front. Immerhin gibt es noch Kontakt – telefonisch oder übers Internet, wenn das denn in der Ukraine gerade mal möglich ist. Denn immer wieder zerstören die Russen mit ihren Bomben die Strom- und Elektrizitätsversorgung, immer wieder bricht die Verbindung zusammen. Aber: „Mein Vater lebt“, sagt Yana und atmet sichtbar auf.
Der Weg nach Deutschland führt sie über ein slowakisches Flüchtlingscamp. Drei Monate lebt sie mit ihrer Familie in Troisdorf, dann „haben wir in Bonn eine Wohnung gefunden“, sagt die 14-Jährige, die sehr dankbar für die große Hilfsbereitschaft der Menschen hierzulande ist. „Natürlich habe ich in der ersten Zeit mentale Probleme gehabt“, erklärt sie. Doch sie habe viele Leute gefunden, die versucht hätten, ihr das Leben so angenehm wie möglich zu machen – und zwar so nah wie möglich an der ukrainischen Lebensart.
Inzwischen besucht sie die Ursulinenschule in Bonn, bemüht sich darum, Deutsch zu lernen – ein bisschen kann sie schon. Ansonsten versucht sie sich, auf Englisch verständlich zu machen. Und auch ihrem geliebten Sport kann sie wieder nachgehen. Der Bonner Tennis- und Hockeyverein (BTHV) ist nach dem russischen Einmarsch sofort aktiv geworden, hat zum einen einen Hilfstransport in die Ukraine organisiert und zum anderen den Flüchtlingen unter die Arme gegriffen – in Zusammenarbeit mit ukrainischen Vereinsmitgliedern. Seien es Jobs oder Wohnungen – um alles hat sich der Club gekümmert. „Ein Vereinsmitglied, das schon vor 20 Jahren aus der Ukraine kam, hat es tatsächlich geschafft, rund 20 Wohnungen zu vermitteln – ohne Miete“, sagt der langjährige BTHV-Geschäftsführer Kay Milner. Auf Nachfrage habe die Frau geantwortet, sie sei Influencerin und habe überall Kontakte.
Natürlich hat der Verein den Flüchtlingen auch Training angeboten. Seit Mai des vergangenen Jahres können die jungen Ukrainerinnen und Ukrainer den sportlichen Aktivitäten nachgehen.
Für Yana reichen diese Übungsstunden freilich nicht aus. Sie ist ein Riesentalent, spielt dank der Unterstützung einiger BTHV-Mitglieder, die sie zu den Spielorten bringen, bereits regelmäßig Turniere in Deutschland und fertigt ihre Gegnerinnen in schöner Regelmäßigkeit ab. Bei den Vereinsturnieren hat sie sämtliche Matches gewonnen, bei den Mittelrhein-Verbandsturnieren einmal ganz oben auf dem Treppchen gestanden. Nur vor einer guten Woche in Overath hat sie sich im Finale geschlagen geben müssen: Rang zwei. „Am liebsten würde ich auch hier jeden Tag trainieren“, gesteht die 14-Jährige, die in der Tat jede freie Minute auf dem Court verbringt. Tennis als Krisenbewältigung, Tennis als Ablenkung, Tennis als Möglichkeit, mal eine Weile nicht an diesen furchtbaren Krieg zu denken.
Von dem Brasilianer Daniel Coronado bekommt sie regelmäßig Trainerstunden, „aber ich habe berufsbedingt eben auch nicht immer Zeit“, meint der 31-Jährige und muss lachen: „Wenn ich Yana sagen würde, wir trainieren in der Früh um 6 Uhr, würde sie auch kommen.“
Kaum hat er den Satz ausgesprochen, als Yana ihn für den nächsten Sonntag verpflichtet: „Morgens um 7“, stöhnt Coronado. „Ich habe versucht, sie umzustimmen, und 9 Uhr vorgeschlagen, aber ich hatte keinen Erfolg.“ Kein Wunder: „Ich möchte einmal Profi werden“, tut die junge Ukrainerin kund, die inzwischen auch noch als Tennis-Trainerin für ihre jüngeren Landsleute beim BTHV im Einsatz ist. Und Vorbilder gibt es natürlich auch: bei den Männern Rafael Nadal, bei den Frauen Serena Williams, Ashley Barty, auch wenn sie ihre Karriere früh beendet hat, und die ukrainische Top-Spielerin Elina Switolina. Eine Tennis-Größe vergangener Tage hat sie sogar schon persönlich getroffen: ihre Landsfrau Laryssa Sawtschenko (heute Neiland), ehemalige 13. der Weltrangliste.
Yanas größter Wunsch aber ist ein anderer: „Dass endlich dieser Krieg aufhört.“ Zwar sei sie froh, in Deutschland zu sein, und es sei toll, „dass ich hier so viele Möglichkeiten habe, dass mir so viele Leute mit guten Ratschlägen und Tipps helfen“. Aber: „Nach dem Krieg wäre es sehr schön, wieder nach Hause zu kommen. Doch letztlich ist das eine Entscheidung meiner Eltern.“